Geopolitik und kurzfristige Angebotsrisiken stützen die Ölbörsen

EU zwischen Druck aus Washington und eigener Energieabhängigkeit
Die Europäische Kommission will den Ausstieg aus russischen fossilen Brennstoffen schneller vorantreiben und stärkere Sanktionen gegen Unternehmen in Indien und China verhängen. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag nach einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump an.

Trump hatte zuletzt mehrfach von der EU gefordert, kein Öl und Gas mehr aus Russland zu importieren und statt dessen Strafzölle nach amerikanischem Vorbild gegen Indien und China zu verhängen. Solange die EU-Staaten nicht entsprechende Strafmaßnahmen gegen die beiden größten Kunden Russlands verhängten, werde auch Washington keine zusätzlichen Zölle erheben, betonte US-Finanzminister Scott Bessent.  

Von der Leyen erklärte gestern Abend, sie habe mit Trump über Möglichkeiten gesprochen, den wirtschaftlichen Druck auf Russland durch zusätzliche Maßnahmen zu erhöhen. Offenbar schlug sie dabei vor, im Rahmen des 19. Sanktionspaketes, „das sich gegen Krypto, Banken und den Energiesektor richtet“, auch indische und chinesische Energieunternehmen stärker ins Visier zu nehmen. Zusätzlich solle der Ausstieg aus russischen Energieimporten beschleunigt werden.

Aktuell gilt dafür noch eine Frist bis zum 1. Januar 2028. Vor allem Binnenstaaten wie Ungarn und die Slowakei sind nach wie vor stark abhängig von russischen Energielieferungen und hatten deshalb eine Übergangsfrist bei den Ölsanktionen eingeräumt bekommen.

Marktlage
Die bisherige Woche stand unter dem Eindruck der kurzfristigen Angebotsrisiken aus Russland – sowohl durch mögliche Sanktionen, als auch durch die nicht abreißenden ukrainischen Angriffe auf russische Energie-Infrastruktur. Nach drei Tagen des Kursanstieges stabilisieren sich die Notierungen an ICE und NYMEX aber heute Morgen.

„Der Markt richtet seine Aufmerksamkeit klar auf die geopolitischen Unsicherheiten und möglichen Ausfälle russischer Lieferungen. Diese Nervosität hält die Preise weiter hoch“, erklärt Emril Jamil, leitender Öl-Analyst bei der London Stock Exchange Group.

Auch Ölmarktexperte Mukesh Sahdev von Xanalysts in Sydney rechnet mit anhaltendem Preisauftrieb: „Die Tatsache, dass die Ukraine sowohl Exportterminals als auch Raffinerien ins Visier nimmt, wird die Preise stützen.“ Allerdings geht er auch davon aus, dass die OPEC+ „mit einer Steuerung des Angebots den Spielraum nach oben begrenzen“ wird.

Sahdev schließt sich damit der grundlegenden Erwartung am Ölmarkt an, dass die Ölpreise auf lange Sicht eher unter Druck bleiben werden, da die Angebotsmengen aus den Reihen der OPEC+ in den nächsten Monaten sukzessive weiter steigen sollen. Und auch aus anderen ölproduzierenden Ländern wie den USA oder Brasilien wird mit teils deutlichen Produktionssteigerungen gerechnet, während die Nachfrage eher stagniert.

In diesem Zusammenhang achten die Marktteilnehmer heute zudem auf die Fed-Zinsentscheidung, die heute Abend bekannt gegeben wird. Die US-Notenbank dürfte den Leitzins heute aller Wahrscheinlichkeit nach um 25 Basispunkte senken. Ein solcher Schritt könnte die Konjunktur in den USA ankurbeln und damit auch die Nachfrage nach Kraftstoffen erhöhen.

„Die Märkte setzen auf eine Zinssenkung um 25 Basispunkte, was die Kreditkosten senken und den Treibstoffverbrauch ankurbeln dürfte“, erklärt Priyanka Sachdeva, Analystin bei Phillip Nova. Während sie in Sachen Marktentwicklung vor kurzfristig bullishen geopolitischen Spannungen und Angebotsrisiken warnt, ist auch sie sich sicher, dass durch die OPEC+ Angebotserhöhungen ein „Überangebot im globalen Markt für den Rest des Jahres 2025 nahezu sicher“ ist.

Wie sich die kurzfristige Nachfragelage in den USA präsentiert, dürfte der DOE-Bestandsbericht zeigen, der heute Nachmittag auf dem Programm steht. Aufgrund des Saisonwechsels und den beginnenden Wartungsarbeiten an den Raffinerien wäre ein Rückgang der Raffinerienachfrage ebenso wahrscheinlich wie ein Rückgang der Benzinnachfrage.

Die fundamentale Einschätzung fällt heute wegen des tendenziell bullishen API-Berichtes und der akuten geopolitischen Angebotsrisiken in Russland erst einmal wieder leicht bullish aus, auch wenn das altbekannte Spannungsfeld aus langfristig bearishen und kurzfristig bullishen Faktoren bestehen bleibt. Bei den Inlandspreisen bleiben aufgrund des gestrigen Preisanstieges starke Aufschläge im Vergleich zu gestern Vormittag bestehen.

Daniel Ehrler
Die Marktnews beziehen sich auf die Entwicklung der internationalen Rohöl- und Produktnotierungen. Die effektive Preisentwicklung in der Schweiz kann aufgrund von weiteren Einflussfaktoren wie Transportkosten, Rheinfrachten oder Dollarkurs jedoch abweichen.

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